Kreisverband

Umgang mit Widersprüchen: Grüne besuchen Amazon in Roffhausen

„Die Grünen und Amazon, muss das sein?“, fragte sich Reiner Tammen, Mitglied im wangerländischen Gemeinderat und im Kreistag und greift damit auf, was viele Grüne jetzt denken mögen. Auch Reiner Tammen und Almuth Thomßen sind zusammen mit einer Gruppe grüner Mitglieder und einer gehörigen Portion Skepsis zum Amazon-Logistikzentrum nach Roffhausen gefahren, den Kopf voll mit Aussagen wie: „Die sind dafür verantwortlich, dass unsere Innenstädte ausbluten.“ „Was für ein Wahnsinn, alle Produkte bis vor die Haustür zu fahren.“ „Welch eine Menge Müll wird dadurch verursacht.“ „Die vielen Retouren, nochmal wird Energie verschwendet für den Rücktransport.“ Und „Intakte Waren, die zurückgesendet werden, werden anschließend geschreddert.“ Doch diese Einschätzungen waren, zusammengenommen, genau die Gründe, warum sie den Besuch gewagt haben. Tammen & Thomßen wollten wissen, wie es wirklich aussieht und ob sich ihre Bedenken bestätigen würden. 

Ein Teil der Gruppe von Bündnis 90 / Die Grünen bei ihrem Besuch des Amazon-Logistikzentrums in Roffhausen

Ende 2023 hatten Tammen & Thomßen Jannik Janßen kennengelernt, den Leiter des Amazon-Verteilzentrums im Jade-Weser-Park Roffhausen. Er war bei der Feier einer sozialen Einrichtung zu Gast, weil er sich für Amazon immer mal wieder für soziale Projekte engagiert und diese unterstützt. Die beiden Grünen zeigten Interesse und so wurden sie kurzerhand eingeladen, sich zusammen mit anderen den Amazon-Standort einmal persönlich anzusehen. 

Eines vorneweg: Aufgrund des Schichtwechsels war der Termin einer für Frühaufsteherinnen. Nicht jeder ist um 7.30 Uhr bereits sozialkompatibel und aufnahmefähig. Zusammen mit einer kleinen Gruppe grüner Mitglieder ging es zunächst in die große Halle, wo sie über alle Arbeitsschritte ausführlich informiert wurden. Jeder Arbeitsgang vom Eintreffen der Pakete über die Sortierung bis hin zur Auslieferung wurde gezeigt und erklärt. Dabei kamen viele Fakten auf den Tisch, von denen sie so noch nicht gehört hatten. Dazu gab es viele Fragen: Von Arbeitsbedingungen über Gewerkschaft, Betriebsrat und Arbeitszeiten ging es um Löhne und Gehälter, Pausen, Kantinenzeiten, Fluktuation in der Belegschaft, das Schichtsystem, den Fuhrpark, um Müll, Retouren und vieles mehr. 

Eines vorweg: Auf jede dieser Fragen bekam die Gruppe umfassende Antworten.

Die einzelnen Themen im Telegrammstil:

Arbeitsbedingungen: Die Halle und alle Räume incl. Kantine, Büros und Flure sind großzügig geschnitten und dabei hell und freundlich gestaltet. Es wird im Prinzip rund um die Uhr gearbeitet. Ausnahme ist der Sonntag, da ist Ruhetag.

Gewerkschaft: Die Gewerkschaft ist im Betrieb vertreten, es gibt neben einer Informationstafel auch regelmäßige Besuche einer Gewerkschaftssekretärin. 

Betriebsrat: Am Standort Roffhausen gibt es keinen Betriebsrat, es wird aber auch nicht versucht, die Installation eines solchen zu verhindern.

Arbeitszeiten/Schichtsystem: Die Sortierkräfte arbeiten regulär 7 Stunden am Tag, bei Vollzeit in einer 35 Stundenwoche, oder bei 20 Stunden in Woche in Teilzeit, dann 4 Stunden pro Tag. Innerhalb der Schichten arbeitet niemand, der mit Paketen und deren Sortierung beschäftigt ist, länger als 4 Stunden am selben Arbeitsplatz, Zwischendurch gibt es, auch aus gesundheitlichen Gründen, einen Wechsel an einen anderen Arbeitsplatz.

Lohn/Bezahlung: Als Einstieg gibt es 15 € pro Stunde, der Betrag wird jährlich angehoben.

Pausen: Wie gesetzlich vorgeschrieben gibt es spätestens nach 6 Stunden eine Pause von 30 Minuten.

Kantine: Wer eine Pause einlegen will oder muss, kann dafür in die Kantine gehen. Eine Küche mit Personal gibt es hier nicht. Dafür Fertiggerichte, die jede für wenig Geld in einem Dampfgarer aufbereiten und anschließend essen kann. Dazu Kaltgetränke und Kaffee/Tee. In der Kantine gibt es außerdem Spielgeräte wie Kicker, einen Airhockey-Tisch, eine Dartscheibe und zwei Basketballkörbe.

Belegschaft: Es gibt direkt am Standort 150 Mitarbeitende und zusätzlich bis zu 250 Fahrer*innen. Die Fluktuation ist nicht besonders hoch. Es gibt immer Personen, die sich nach einigen Monaten für etwas anderes entscheiden, doch die meisten bleiben. Es gibt gute Aufstiegschancen, die auch genutzt werden. In der Corona Pandemie wechselten einige Arbeitskräfte aus der Gastronomie zu Amazon. Der Logistiker war gerade dabei, den Standort in Schortens zu eröffnen. Die meisten blieben, als die Gastronomie wieder öffnete.

Es gibt überdurchschnittlich viele Beschäftigte mit Migrationshintergrund. Ihnen kommt zugute, dass bei Amazon als US-Firma zum großen Teil auch Englisch gesprochen wird. Zwischen vielen Mitarbeitern wird Deutsch gesprochen, aber einzelne Mitarbeiterinnen sprechen auch nur Englisch. Sobald Mitarbeitende an einem Gespräch beteiligt sind, die nur Englisch sprechen, wechseln alle ins Englische. Amazon beteiligt sich als Firma an der durch den Landkreis Friesland durchgeführten Jobbörse, durch die versucht wird, für Migrant*innen einen Arbeitsplatz zu finden.

Fuhrpark: Die Transporter sind Leasingfahrzeuge, die von Fremdfirmen genutzt werden, um die Waren auszuliefern. Diese Firmen werden von Amazon kontrolliert, was Fahrverhalten und Zeitlimits angeht. Der Fuhrpark wird zurzeit auf Elektroantriebe umgestellt, aber auch Wasserstoff spielt hier eine wichtige Rolle. Daher ist Amazon sehr daran gelegen, dass im Jade-Weser-Park, wie beabsichtigt, eine entsprechende Tankstelle gebaut wird.

Müll: Amazon verzichtet seit zwei Jahren immer mehr auf Plastik bei den Verpackungen, auch der Einsatz von Pappe wird immer weiter reduziert. Für Zwischentransporte gibt es große Rollcontainer und wiederverwendbare Holzpaletten. Die alten großen Pappbehälter wird es schon bald nicht mehr geben. Ab 2035 soll vollständig auf Plastikverpackungen verzichtet werden. Schon jetzt wird verstärkt darauf geachtet, dass kleine Waren auch in kleinen Behältern verschickt werden. Allerdings, da war sich die grüne Gruppe einig, hier gibt es noch viel zu tun. Bis 2040 will Amazon klimaneutral sein.

Retouren: Nach Aussagen von Jannik Janßen liegen die Retouren in einem einstelligen Prozentbereich. Er sprach von ein bis zwei Prozent. Auch dies konnte die Gruppe sich vor Ort ansehen. In einem kleinen, abgegrenzten Bereich standen einige wenige Kartons. Es handelte sich allerdings nur um Waren, die direkt von Amazon geliefert wurden. Ware, die durch Fremdfirmen über Amazon verkauft und verschickt werden, gehen dann an diese Firmen zurück. 

Amazon vernichtet keine Waren, wenn sie unversehrt retourniert werden. Entweder kommen sie wieder in den normalen Handel oder werden als B-Waren verkauft. Falls aber z. B. eine Flasche eines Sechserpacks kaputt geht, werden die anderen fünf Flaschen an die Tafel gegeben.

Fazit: Vor 60 Jahren gab es in jedem kleinen Dorf in Friesland einen Lebensmittelladen und eine Dorfkneipe. In größeren Dörfern mehrere, dazu Schulen, Kohlenhändler und Handwerksbetriebe. Der gesellschaftliche Wandel hat dafür gesorgt, dass Betriebe, Läden und Schulen aus den kleinen Dörfern verschwanden. Irgendwann gab es die ersten Versandhäuser wie Otto, Quelle und Neckermann. Letztlich sind sie die Vorläufer von Amazon und Co. Den nächsten großen Wandel brachten Aldi, Lidl und Co. Plötzlich gab es in den Städten Geschäfte, bei denen es alles zu kaufen gab, zwar nicht jederzeit, aber immer wieder. Wenn Aldi Fernseher im Angebot hatte, verkaufte jede Filiale an einem Tag mehr davon als ortsansässige Händler in einem halben Jahr.

Der Internet-Handel sorgt jetzt für einen neuen Schub. Erneut bleiben viele Geschäfte auf der Strecke und verschwinden vom Markt. 

Wer wie wir in Friesland auf dem Lande lebt, kann nicht wie früher zu jederzeit überall alles kaufen. Vielleicht in Jever, Schortens und Varel noch fast alles. Wer auf dem Dorf wohnt und spontan etwas benötigt, und es gibt einen Anbieter im Netz, bei dem es tatsächlich alles gibt und dann auch noch deutlich billiger als in Jever, Schortens oder Varel….  Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen. 

Worauf wir in jedem Fall achten müssen, ist Umweltverträglichkeit, Klimaneutralität und Nachhaltigkeit. Wer Jannik Janßen glauben schenkten kann, und das tun Tammen & Thomßen, dann ist Amazon auf einem guten Weg.

Die zuständige Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kann auf einer Infowand ihre Mitteilungen frei veröffentlichen.
Die Sitzgelegenheiten draußen sind aus Paletten gebaut. Ebenso die Hochbeete, die im nächsten Jahr auch bepflanzt werden sollen.

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